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Die Familie Corvinus - Leben und Legende
Viele Menschen hoffen, bei dem Erforschen
ihrer Familie auf berühmte Vorfahren zu stoßen, Adelige und Könige. Mancher
ist auch auf Dichter fixiert und gäbe etwas auf Ahnengemeinschaft mit
Goethe. Woran liegt das?
In unserer Familie hielt sich lange das Gerücht, die großmütterliche Linie
[1] sei über eine illegitime Abstammung auf den nationalen
Ungarnkönig Matthias Corvinus zurückzuführen. Zwar wurde
Großmutter Erica schon Anfang des letzten Jahrhunderts mit ihren Blaues-Blut-Andeutungen
nicht so ernstgenommen; aber musste nicht doch etwas daran sein, wenn
sogar noch eine Kopie des Rabenwappens aus dem Corvinuserbe in der Familie
weitergegeben wurde? Im Folgenden wird es nicht etwa darum gehen, den
Beweis dieser Herkunft zu liefern, sondern darum, die Rabenmär [2] endgültig zu entzaubern.
Weshalb erscheint vielen Menschen eine Ahnenreihe
mit vermeintlich angesehenen oder ruhmreichen Vorfahren so anziehend?
Etwa wegen der Annahme, es werde etwas von vergangenem Glanz in den Nachgeborenen
weiterstrahlen? Wenn dem so wäre, kann dieses Streben nur ein Überbleibsel
der vordemokratischen ständischen Gesellschaft sein, in der der Umstand
der Geburt über Erfolg und Ansehen entschied und damit wichtiger war als
die eigene Leistung. Jahrhunderte lang war die Frage nach der Ebenbürtigkeit
entscheidend. Man wollte, besser musste, unter Seinesgleichen bleiben!
Damit niemand aus dem Gott gegebenen Stand ausbrach, war beim Adel seit
dem Mittelalter die Ahnenprobe üblich. Sie ist selbst in der großen Rechtssammlung
des Sachsenspiegels als Regel vorgegeben und sah den Nachweis von vier
adeligen Großeltern [3] vor. Und wenn es die nicht gab?
Dann musste man sich den Stammbaum zurechtfälschen. Es blieb einem ja
schließlich gar nichts anderes übrig! Die Alten hatten es ja vorgemacht.
Wer alles führte im Altertum seinen Stammbaum denn nicht auf Alexander
den Großen oder gar Zeus zurück?!
So weit so gut. Nun sollte man meinen, dass
mit den gesellschaftlichen Umbrüchen in der Mitte des 19. Jahrhunderts
eine solche (vermeintliche) Aufwertung einer Familie nicht mehr nötig
war. Die Ideen der anfangs noch fürchterlich beschimpften Demokraten veränderten
allmählich das politische Denken, die Gewerbefreiheit spülte Jahrhunderte
alte Zunftprivilegien hinweg und wirtschaftlich erfolgreiche Bürger kauften
Rittergüter. Aber noch zählte der Adel, ganz besonders in Preußen und
dort am stärksten beim Militär. Da ist es nicht verwunderlich, wenn eine
Familie, die vermutlich einmal Rabe geheißen hatte, ihre Familiengeschichte
mit königlicher Herkunft veredelte. Vielleicht konnte man ja den so aufgewerteten
Namen auch leichter in Erfolg und Geld ummünzen.
Unsere bisher wirlich bekannte Corvinus-Vergangenheit sieht so aus: In
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging der Akzise-Einnehmer Emanuel
Friedrich Corvinus in einem der Torhäuschen der Berliner Stadttore
seinem Beruf nach. Er kontrollierte die Händler, die ihre Waren in die
Stadt brachten, und zog die Akzise für die mit dieser Verbrauchssteuer
belegten Waren ein. Seine Tätigkeit verschaffte ihm ein eher bescheidenes,
aber immerhin sicheres Einkommen.
Die Herkunft unseres Steuereinnehmers liegt noch im Dunkeln. Hatte er
vielleicht seinem König, dem Alten Fritz, als Soldat gedient und war nach
gängigem Muster nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst mit dieser Stelle
abgefunden worden? 200 Jahre später erinnerte sich eine seiner Ururenkelinnen:
"Zur Zeit Friedrich des Großen floh ein Corvinus nach Deutschland.
Er hatte einen politischen Mord auf dem Gewissen ..." Und sie
stellt dann mit einem Zeitsprung von 250 Jahren ganz selbstverständlich
eine Verbindung zu einem illegitimen Sohn des großen Ungarnkönigs Matthias
(1443-1490) her. Wie konnte sich eine solche Mär in der Familie halten?
Nur über das mündliche Weitergeben vom Vater über den Sohn auf die Enkel.
Aber wie konnte sie überhaupt entstehen?
Um es vorwegzunehmen, es ist richtig, dass König Matthias einen illegitimen
Sohn hinterließ, dem es nach dem Tod seines Vaters nicht gelang, dessen
Nachfolge anzutreten. Während Matthias selbst den Namen Corvinus nicht
gebrauchte, sondern den Namen Hunyad
nach der Burg seiner Vorfahren, nannte sich sein Sohn Johann Corvinus. Dieser, Herzog
von Liptau und Troppau, war 1473 aus der Verbindung mit der Bürgerstochter
Barbara Edelpöck aus Stein an der Donau hervorgegangen und starb bereits
1504. Er selbst hatte Beatrix Frangepán geheiratet. Seine beiden Nachkommen
starben in der Kindheit, die Tochter mit 12, der Sohn mit 6 Jahren. Diese
Daten sind der aktuellsten Matthias-Biographie entnommen, die der Historiker
Jörg K. Hoensch [4] 1998 vorgelegt hat.
Natürlich könnte es weitere Nachkommen außerhalb der unfruchtbaren Ehe
des Matthias gegeben haben. Sie wären bei dem Stand der Forschung aber
sicherlich nicht unentdeckt geblieben. Vielmehr ist wohl davon auszugehen,
dass um 1800 Namensträger Corvinus/Rabe aus der Namensgleichheit für ihre
Zwecke Nutzen zu ziehen suchten. Denn unsere Corvinuslinie steht in dieser
Hinsicht nicht allein. Der Schriftsteller und 48er-Revolutionär Otto
von Corvin [5] beginnt seine Lebensgeschichte
mit demselben Topos, erweitert noch um die Herkunft aus dem römischen-antiken
Geschlecht der Valerier. Der Biograph des Ungarnkönigs, Antonio Bonfini,
hatte zur besseren Legitimierung seines Herrn, die Hunyad-Familie mit
dieser Familie verknüpft, und König Matthias hatte dem nicht widersprochen. [6]
Hönsch berichtet, "Bereits im 18.
Jahrhundert wurde systematisch die schriftliche Hinterlassenschaft des
Corvinen gesammelt und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, die
Geschichte der von ihm geprägten Epoche in gründlichen Detailstudien und
mehrbändigen Abhandlungen aufzuarbeiten." [7] Der geschichtlich
interessierte von Corvin, der ja die Überlieferung seines Vaters und Großvaters
wiedergibt, muss bereits Zugang zu solchen Büchern gehabt haben. Ob auch
unser Corvinus durch zeitgenössische Berichte auf die Idee mit der Ungarnlinie
kam, ob ihn ein anderer auf diese mögliche Vergangenheit aufmerksam machte,
ihm vielleicht sogar Wappen und Siegelring besorgte / verkaufte / unterschob,
ob er von dieser Herkunft angeberisch, vielleicht sogar hochstaplerisch,
Gebrauch machte oder einfach selbst daran glaubte, wir werden es niemals
erfahren. Aber es bleibt uns die erinnernde Aussage der Lotte Kagermann,
geb. Corvinus über ihren Onkel
"Er besaß das Original-Wappen und den Original-Goldenen Ring
mit dem Wappen. Er hatte nur eine Tochter, Maria, [...] die sich [...]
nach dem Zusammenbruch
[8] das Leben genommen hat. So gingen die wertvollen Andenken
verloren. Da Oscar-Matthias und Rudolf-Matthias keine Kinder hatten,
ist der Name Corvinus ausgestorben."
Sie fährt dann fort - und das Folgende könnte
auch einem Reiseführer entnommen sein -
"In Budapest steht auf dem Heldenplatz das Denkmal von Matthias
Corvinus, dem König von Böhmen und Ungarn. Nach ihm ist auch die Matthias-Kirche
benannt, die bei der Fischer Bastei steht. In dieser Kirche findet man
mehrmals das Wappen der Corvinus."
Das ist vollkommen richtig. Christina Teuthorn
hat im Oktober 2007 anlässlich eines Budapestbesuches diese Plätze gesehen
und darüber ein kleines Video gedreht. Daraus wird aber auch unwiderlegbar
klar, dass das in unserer Familie überlieferte Wappen wahrscheinlich eine
Erfindung des 19. Jahrhunderts ist
[9] . Der 'Heraldiker' hat sich nicht einmal die Mühe gemacht,
eine der vielen Rabendarstellungen aus der Matthiaskirche oder von Schloss
Hunyad als Vorbild zu nehmen. Das authentische Wappen der Hunyadi [10] wird im Katalog
der Budapester Ausstellung des Jahres 2006 beschrieben. Von diesem ist
die in unserer Familie überlieferte Version aber besonders weit entfernt.
Nun ist es aber an der Zeit zum Torhäuschen
unseres Berliner Akzise-Einnehmers zurückzukehren. Er war mit Sophie Brand verheiratet.
Sicherlich hatte das Ehepaar - wie in jener Zeit üblich - mehrere Kinder [11] . Das in unserer Stammlinie wichtige
Glied ist sein Sohn Johann Ludwig CORVINUS, der wohl
um 1780 in Berlin geboren wurde. Er wurde Königl. Preuss. Obersteuerkontrolleur.
Im Vergleich zu seinem Vater war er also offensichtlich innerhalb der
Steuerverwaltung aufgestiegen und wurde in seiner Funktion nach dem 1816
preußisch gewordenen Weißenfels [12] versetzt. Dort starb er am 18.09.1834.
Am 5.5.1816 hatte er in Halle/Saale Marie
Dorothee Charlotte DETTOW (* 18.04.1792 in Halle/Saale) geheiratet,
die Tochter des Kontrolleurs der Pfänner- und
Salzkasse in Halle/Saale, Johann Georg Gottfried Dettow
(oder Rottow). Die Familie gehörte damit einem herausgehobenen Stande
an und dürfte nicht ohne entsprechendes Vermögen gewesen sein. Dieser Johann
Ludwig CORVINUS war es, der - so muss ich das sehen - seinem Sohn neben
einer ordentlichen Ausbildung auch das 'Matthias-Programm' mitgab. Denn
er nannte das am 23.04.1822 in Weißenfels geborene Kind Ludwig
Hugo Matthias CORVINUS.
Der künftige Apotheker mit dem programmatischen
Namen hat die vermeintliche Ungarnabkunft möglicherweise am breitesten
ausgespielt. Seit wann er den Apothekerberuf
ausübte ist nicht überliefert. Zum Zeitpunkt seiner Heirat im Jahre 1852
war er bereits Apotheker in dem zwischen Halle und Bitterfeld gelegenen
kleinen Ort Brehna. Dies war damit möglicherweise seine erste Apotheke.
Wieso eine Zählung interessant ist, werden wir gleich sehen.
Seine Auserwählte
war eine gute Partie. Es war die aus der Nähe von Buxtehude stammenden
Friederike Franziska Böhme, Tochter eines Dömanenpächters. Die Trauung fand am 11. September
1852 im Hause der Brauteltern in Cadenberge statt. Dies, wie auch den
gerade genannten beruflichen Hintergrund, kennen wir aus dem Trau- und
Aufgebotsbuch der evang.-luth. Parochie in Cadenberge.
Der eigene Erbteil und die Mitgift ergaben
zusammen wohl ein recht beträchtliches Vermögen. Allerdings schaffte er
es, dies innerhalb der nächsten 20 Jahre durchzubringen, so dass seine
Frau bei seinem frühen Tode (+20.11. 1873) mit 6 Kindern nahezu mittellos
dastand. Seine Enkelin Lotte Kagermann wusste noch zu erzählen, dass er
ein "unruhiger Geist" gewesen sei, seine Apotheken nach
jeweils kurzer Zeit wieder verkaufte, um mit seiner Familie von einem
Ort zum anderen zu ziehen. Sie berichtete auch:
"Im Winter ließ er sich ein Loch in das Eis hauen, um
darin zu baden. Er hatte immer viele Tiere um sich, darunter auch einen
zahmen Storch. Er soll sogar einmal seine Apotheke gegen ein Reitpferd eingetauscht haben."
Welche Ortswechsel
es in den nächsten 10 Jahren gab, wissen wir nicht. Aber von 1862 bis
1865 ist der Apotheker Corvinus in Birnbaum, dem heutigen Miedzychod in
der damals preußischen Provinz Posen nachgewiesen. Der Familienforscher
Günther Fuhrmann hat auf den Spuren seiner eigenen Familie, die die Apotheke in Birnbaum begründete, die
Besitzverhältnisse der Apotheke anhand eingesehener Archivalien rekonstruieren
können. Am 29.7.1862 unterschrieb der Apotheker Ludwig Hugo Matthias
Corvinus in Birnbaum den Kaufvertrag zum Erwerb der Apotheke im Wert
von 38.000 Reichstalern. Allerdings ist drei Jahre später der Verkäufer
wieder als Eigentümer eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt war unser Abenteurer
also schon wieder im Aufbruch. Ob es u.U. gar Probleme bei der Abwicklung
dieses Geschäfts gegeben hatte, muss Spekulation bleiben. Das gilt auch
für die Frage, ob die nächste Station bereits Treptow an der Tollense,
das heutige Altentreptow, war, oder ob es noch eine weitere Station gab.
Am 20. 11.1873 starb Ludwig Hugo Matthias Corvinus jedenfalls in dieser
Stadt. Offensichtlich war sein Vermögen zu diesem Zeitpunkt zerronnen.
Der Apotheker gab das volle 'Matthias-Programm'
an seine 3 Söhne weiter. Diese waren Oskar-Matthias, Rudolf-Matthias
und Hugo-Matthias. Letzter wurde wieder Apotheker; er besaß
das Original-Wappen (s.o.). Die Töchter waren Martha (* 1862), die einen
Kagermann heiratete, Laura (* 1863), die wohl wegen einer unglücklichen
Liebe den Freitod wählte, und Anna (* 15.01.1864 in Birnbaum/Miedzychod,
† 12.12.1937 in Messenthin b. Pölitz). Martha hatte ihren Bruder bei der
Finanzierung seines Studiums unterstützt.
Die Frau des abenteuernden Apothekers, Friederike Franziska Corvinus, geborene Böhme, starb
erst am 19. Februar 1907 in Stettin. Dies war inzwischen die Heimat für
ihre jüngste Tochter Anna geworden. Diese hatte 1885 in Deutz den Fotografen
Franz Christian BACHMANN (* 06.07.1859
in Göttingen, † 13.02.1938 in Messenthin b. Pölitz.) geheiratet und war
mit ihm dorthingezogen. Offensichtlich hatte das Ehepaar sie im Alter
zu sich genommen.
Die drei Kinder des Ehepaares Bachmann-Corvinus
sind meine Großmutter Erica, ihre Schwester Margarethe und Walther, der
1934 in Ribnitz-Dammgarten die Walther-Bachmann-Flugzeugbau KG gründete.
Nach der Scheidung von meinem Großvater Emil Teuthorn heiratete Erica
Bachmann den Apotheker Otto Brenning. Nach dem frühen Tod des Hobbyjägers
lebte sie in Graal-Müritz in dem von ihr entworfenen Haus, dem Heidjägerhof.
Und was ist von
dem Corvinuszauber übrig geblieben? Mitte des vorigen Jahrhunderts war
es noch dieses Lächeln, das über die Gesichter der Besucher des Heidjägerhofes
huschte, wenn bei der nun 'Apothekerwitwe' Brenning das Gespräch auf Corvinus
kam. Dann blickte aus ihrem Ölgemälde neben dem Kamin auch eine geheimnisvolle
Ahnfrau auf die Gäste. Ihr schulterfrei dekolletiertes Kleid hatte ein
wunderbar leuchtendes helles Blau. Aber das ist jetzt nur noch Erinnerung.
Ach so! Da ist ja immer noch die Wappenkopie.
Sie hängt jetzt bei einer Nachfahrin des peußischen Akzise-Einnehmers
in einem schönen Anwesen am Bieler See.
© Peter Teuthorn, 19. Januar 2008
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