Das Amt der Chirurgen und Barbiere in den Städten Kiel und Segeberg

Barbiere/Chirurgen wurden unter den 23 Handwerksämtern der Stadt Kiel bereits um 1650 erwähnt [1] . Bei der Volkszählung des Jahres 1781 gab es drei Barbiere bei 5739 Einwohnern, 1864 fünf Barbiere bei 18808 Einwohnern. Übrigens gab es  dieselbe Anzahl  Hebammen. Die Zahl der Ärzte und Apotheker war 1650 = 11, 1781 = 25 [2] .

Die älteste überlieferte Zunftordnung bzw. das älteste durch die Obrigkeit erteilte „Privileg“ [3] ist für Kiel aus dem Jahre 1638 vorhanden. Die Rechte der im Amt der Barbiere und Chirurgen zusammengeschlossenen Meister werden in einer Urkunde, dem Amtsbrief der Chirurgen und Barbiere zu Kiel, durch den damaligen holsteinischen Landesherrn bestätigt. Dementsprechend beginnt dieses hoheitliche Schreiben wie folgt:

„Wir, Friedrich, Erbe zu Norwegen, Herzog zu Schleswig, Holstein, Stormarn und der Dithmarschen, Graf zu Oldenburg und Delmenhorst

Thun kund und erkennen hirmit für Uns und Unsere Nachkommen an der Regierung gegen männiglichen, als Uns die sämtliche Babierer in Unserer Stadt Kiel, ernanntlich Gabriel Knickebusch [und vier weitere] unterthänig supplicando vorbringen lassen, solchergestalt ihre Nahrung und Handthirung des Orts dermaßen abnehme, dass sie auch neben ihren Weib und  Kindern ihren nothdürftigen Unterhalt davon nicht haben könnten,  welches daher rührte, dass von fremden und umlaufenden, der Kunst nicht erfahrenen, ihnen, als die gleichwohl der Stadt onera [Lasten] mit tragen helfen müssten, großer Eintrag  geschehe, ja gleichfalls das Brod für dem Maule abgeschnitten würde; also unterthänig gebeten, Wir geruheten gnädig und zu remedirung dafür den Supplicanten einen Amts-Brief zu ertheilen, dass Wir demnach solchem unterthänigen Suchen in Gnaden statt gethan. Thun es auch hiermit, und in Kraft dieses, also und dergestalt, dass künftighin in besagter Unserer Stadt Kiel, nachgesetztes Amt der Barbierer gehalten werden soll, [...]“

Die wesentliche Festlegungen sind:

  1. Es soll in der Stadt Kiel nicht mehr als 5 Barbiere geben. Diese Zahl kann ausnahmsweise durch den von der Wanderzeit zurückkehrenden Sohn eines Amtsmeisters für eine  gewisse Zeit überschritten werden.

  2. Eine Witwe soll das Amt mit einem tüchtigen Gesellen auf Lebenszeit weiterführen können.

  3. Sohn oder Tochter sollen das Amt übernehmen können, aber zuerst ihren Meister machen.

  4. Ein Meister darf zur selben Zeit nicht mehr als 2 Lehrlinge in der Lehre haben.

  5. Fremde Gesellen sollen freundlich von den Meistern aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang wird ein Ehrenkodex beschrieben, der das Wohlverhalten untereinander bestimmt.

  6. Die Meister und die Zunft sollen auch darauf achten, dass professionelle Arbeit geleistet wird und sie sollen deshalb keine Bader, Krämer, „Ratzenfänger“ und dergleichen dulden und deren Wirken, wenn sie es bemerken, dem Rat zur Bestrafung anzeigen.

.Dieser Amtsbrief wird dann in späteren Jahren bis 1854 mehrmals erneuert.

In Verbindung mit den Ausführungen zu den Kieler Ämtern (siehe oben) gibt das Protokollbuch des Segeberger Barbier- und Chirurgenamtes [4] mit den Eintragungen aus den Jahren 1750 bis 1850 eine konkrete Vorstellung von den Handlungen innerhalb eines solchen Amtes.
Selbstverwaltung, Amtsversammlungen, Einfluss des Rates, Lehrzeiten, Aufnahme von Meistern,  Recht der Meisterwitwen auf Weiterführung bzw. Veräußerung des Gewerbes werden konkret greifbar. Die folgenden Feststellungen verweisen mit P (=Protokoll) und einem Kleinbuchstaben jeweils auf das bemühte Zitat des im Anhang angefügten Auszuges aus dem Protokollbuch.


Amtsversammlungen
An der ersten Amtsversammlung (Pa) nehmen teil: alle drei Amtsmeister, einer von ihnen als Ältermann und damit Vorsitzender des Amtes und der Versammlung, der städtische Amtsverwalter, in diesem Fall der Bürgermeister, drei weitere Ratsmitglieder. Damit überwiegt hier die Präsenz des Rates [5] . Der Amtsverwalter wird zum Morgensprachsherrn gewählt. Dieser führt jetzt und künftig immer das Protokoll.
Durch den Amtsverwalter und die teilnehmenden „Ratsverwandten“ übt der Rat Kontrolle über das Geschehen im Amt der Barbiere und Chirurgen aus. Mit der Funktion des Amtsverwalters geht diese Kontrolle offenbar noch über das in Kiel Übliche hinaus. Durch die Wahl des Amtsverwalters als Morgensprachherrn und seiner wahrscheinlich ständigen Teilnahme werden die Amtsversammlungen zu den sogen. Morgensprachen, in denen damit rechtssetzende Entscheidungen getroffen werden können.

Die Amtslade, die immer vom Ältermann verwahrt wird, enthält des Amtsprivileg und die Amtsgelder.  Sie ist Insignum von Rechten, verbindlichen Entscheidungen und damit der Amtsmacht. Der Hinweis „es wurde vor offener Lade verhandelt“ weist auf die Rechtsverbindlichkeit der Vorgänge und Entscheidungen hin, z.B. Aufnahme neuer Meister, Lossprechungen, Ermahnungen etc.


Freisprechung der Lehrlinge
Die Lehrlinge wurden nach Abschluss der Lehrzeit „vor offener Lade“ zu Gesellen erklärt (Pg). Direkt anschließend gingen sie auf die Wanderschaft.
Natürlich wurde auch ein Lehrzeugnis bzw. ein Gesellenbrief ausgestellt, wenn dies auch nicht extra protokolliert wurde. Die Aussage eines solchen Lehrzeugnisses ist aber zunächst überraschend. Während wir heute von einem Zeugnis - auch einem Ausbildungszeugnis - eine aufzählende Beschreibung der erlernten Fähigkeiten mit anschließender Bewertung des Beherrschungsgrades erwarten, dann natürlich auch eine Aussage zum Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden, finden sich die ersten beiden Kategorien in einem Lehrzeugnis der Barbierzunft nicht. Das Zeugnis enthält in ausführlichster Form Aussagen zum Wohlverhalten und anständigen Lebenswandel, der eine ganz wesentliche Anforderung an einen künftigen Gesellen und Meister war. Die Beherrschung des Fachs wurde entweder als selbstverständlich angesehen oder aber, was wahrscheinlicher ist, durch Augenschein, Arbeitsproben, Aufnahmeprüfungen etc. nachgewiesen. Ein Beispiel für ein Lehrzeugnis findet sich im Anhang II [6] .

Aufnahme neuer Meister
Das Amt wachte darüber, dass die Zahl der Amtsmeister in den gesetzten Grenzen blieb. Die Übernahme der Barbierstube einer Meisterwitwe war eine Möglichkeit, als Meister aufgenommen zu werden. Bei mehreren Bewerbern entschied die Amtsversammlung, darüber, wer akzeptiert wurde (Pk,l).

Prüfung der Meister
Eine Allgemeine Linie ist aus den Aufzeichnungen nicht zu erkennen. 1762 wurde ein Neuer Meister, der Regimentschirurg gewesen war, ohne weiteres aufgenommen, 1779 erfolgte eine Prüfung durch den Stadtphysikus, 1790 durch 2 Amtsmeister (Pd-f). Johann Hinrich Adolph Lange, legte bei seiner Aufnahme in das Amt am 22.4.1833 u.a. ein Zeugnis vor, ausgefertigt vom Ältesten des Collegii Chirurgici der Freien Hansestadt Lübeck (Pl). Dies könnte auf eine Qualifikation vergleichbar einem preußischen Wundarzt I. Klasse hindeuten und wäre dann ein Zeichen, dafür, dass höhere Qualifikation auch in das Chirurgenamt Segeberg einzog.

Recht der Meisterwitwen auf Fortführung des Gewerbes / verwaiste Töchter
Die Witwe Bulle und die Witwe Böhlert führten jeweils eine Zeitlang das Gewerbe fort (Ph,k). Als die Wwe. Böhlert ihre Barbierbude veräußerte übernahm sie der im Zusammenhang mit dieser Transaktion neu zugelassene Amtsmeister.
Nicolaus Nagel heiratete 1790 die 11 Jahre ältere Tochter des verstorbenen Amtsmeisters Sibbers und wurde gleichzeitig als neuer Amtsmeister zugelassen.



Kapitel 5 von Chirurgen & Barbiere (Peter Teuthorn August 2003)


Der gesamte Artikel ist als pdf-Datei verfügbar.

 

[1] Geschichte der Stadt Kiel, S. 98.

[2] Geschichte der Stadt Kiel, S.180-184.

[3] Stadtarchiv Kiel (StAKi), Akten des Magistrats zu Kiel Sig.1643.

[4] Köster, Hans Heinrich: Sippenkundliches aus dem Chirurgie-Ambt der Stadt Segeberg vom Jahre 1745. In: Zeitschrift für niedersächsische Familienkunde, Jg. 23, Hamburg 1941, S. 33-35.

[5] Ob dies  Zufall oder nur für Segeberg, nicht aber für andere Ämter typisch ist,  kann ich wegen fehlender Vergleiche jetzt nicht feststellen.

[6] Stadtarchiv Kiel (StAKi), Sig. 5333.

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